“Terror” – Ihr Urteil

Gestern lief eine der größten Volksverarschungen jemals im Deutschen – gebührenfinanzierten – Fernsehen. Es ging bei “Terror” – einem Theaterstück des Strafverteidigers und Schriftstellers Ferdinand von Schirach – um die Frage, ob ein Kampfpilot ein mit 164 Menschen besetztes und von Terroristen entführtes Flugzeug abschießen darf, um ein Stadion mit 70.000 Menschen zu retten. Laut T-Online haben sich in der anschließenden Diskussion bei “Hart aber fair” die Menschen mehrheitlich gegen das Grundgesetz ausgesprochen bzw. gegen dieses gestimmt:

hart-aber-fair-terror-mehrheit-gegen-grundgesetz

(http://www.t-online.de/unterhaltung/tv/id_79291216/-terror-ihr-urteil-86-9-prozent-der-zuschauer-plaedierten-fuer-freispruch.html)

Vorab sei gesagt, dass ich mich von Herrn von Schirach nicht verteidigen ließe. Denn der Mann hat von Strafrecht nun nachweislich keine Ahnung, anderenfalls er solch einen Blödsinn nicht hätte auf die Bühne bringen bzw. gar verfilmen lassen können.

Aber fangen wir zum Einstieg einmal mit der angeblichen Abstimmung gegen das Grundgesetz an:

Das BVerfG hat seinerzeit in seinem Urteil zum Luftsicherheitsgesetz entschieden, dass § 14 III (alte Fassung) gegen das Grundrecht auf Leben und gegen die Menschenwürde verstößt und damit insoweit nichtig ist (https://de.wikipedia.org/wiki/Luftsicherheitsgesetz). Es ging seinerzeit darum, dass das Gesetz so formuliert war, dass zu Gunsten vieler und zum Nachteil weniger die Wenigen geopfert werden durften. Das BVerfG entschied, dass man Menschenleben nicht qualitativ oder quantitativ gegeneinander abwägen dürfe, woraus sich die Verfassungswidrigkeit (Rechtswidrigkeit) der Norm zwingend ergab.

Das BVerfG entschied damit insbesondere auch, dass es keinem Politiker, Militär usw. in seiner Funktion als Amtsträger zustehen dürfe über das Leben von Menschen per Dekret oder Befehl zu entscheiden. Oder gar einen Untergebenen dazu anweisen zu dürfen eine Tat auszuführen, die mit dessen Moralvorstellungen u.U. nicht vereinbar ist.

In einem Krieg gibt es Kombattanten und damit klar umrissene Regeln.
Die Flugzeugterrorsituation aber ist eine ganz andere.

Und jetzt stellen Sie sich mal vor der Kampfpilot hätte gewußt, dass in ausgerechnet dem Flieger, den er auf Befehl hin abschießen soll, seine eigene Familie sitzt. Würden Sie in solch einem Moment die Rakete abfeuern oder nicht vielleicht doch das “Prinzip Hoffnung” walten lassen? Vielleicht überwältigt ja doch noch jemand die Terroristen oder sie erleiden vor Aufregung einen Herzinfarkt.

Und nun betrachten wir einmal die strafrechtliche Seite des Vorgangs. Erstens wurde wegen Mordes angeklagt. Das ist schon kompletter Blödsinn und wäre vermutlich keiner deutschen Staatsanwaltschaft – außer vielleicht der in Wuppertal – jemals eingefallen. Denn Mord setzt zwingend mindestens ein Mordmerkmal voraus. Hier käme allenfalls der Einsatz einer Lenkrakete als gemeingefährliches Mittel in Betracht. Dem würde ich uneingeschränkt zustimmen, wenn man diese – wie es z.B. die Palästinenser so gerne tun, und es neuerdings auch in der Türkei in Mode kommt (http://www.spiegel.de/reise/aktuell/raketenangriff-bei-antalya-auswaertiges-amt-raet-tuerkei-urlaubern-zur-vorsicht-a-1116697.html) – z.B. von einem Hügel auf eine Stadt abfeuert.

Dummerweise ist aber eine Lenkrakete so ziemlich das einzige Mittel, um ein Flugzeug vom Himmel zu holen. Und damit kein gemeingefährliches Mittel, sondern eine für diesen Einsatz konzipierte Spezialwaffe. Ich hoffe Sie vermögen den Unterschied zu erkennen.

Bleibt also noch Totschlag. Und hier sind zu beurteilen:

Tatbestandlichkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld.

164 Menschen sind zu Tode gekommen. Tatbestandlichkeit objektiv (+)
Der Pilot schoss und wusste, dass die Insassen sterben werden. Tatbestandlichkeit subjektiv (Vorsatz) (+)

Greifen eventuell Rechtfertigungsgründe ein, die die Rechtswidrigkeit aufheben könnten?

Hinsichtlich des/der zu Tode gekommenen Terrorist(en) greift der Tatbestand der Nothilfe. Das ist die zu Gunsten eines Dritten ausgeübte Notwehr:

§ 32
Notwehr

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Dummerweise ging aber von den Flugzeuginsassen kein Angriff gegen irgendwen aus, so dass deren Tötung keinesfalls gerechtfertigt wäre und damit rechtswidrig war.

Und schon kommen wir zur Schuld, welches ein vom Richter im jeweiligen Einzelfall individuell zu prüfendes Tatbestandsmerkmal ist. Und dort gibt es den § 35 StGB.

§ 35
Entschuldigender Notstand

(1) Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. Dies gilt nicht, soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen; jedoch kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden, wenn der Täter nicht mit Rücksicht auf ein besonderes Rechtsverhältnis die Gefahr hinzunehmen hatte.

(2) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig Umstände an, welche ihn nach Absatz 1 entschuldigen würden, so wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte. Die Strafe ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

Nun waren die 70.000 Menschen im Stadion aber keine Angehörige oder sonst nahestehenden Personen gem. Abs. 1. Es greift aber Abs. 2. Denn tatsächlich war es dem Piloten in dieser konkreten Lage wohl nicht möglich, sich erst durch einen Blick ins Gesetz und zudem noch die vielfältigen diesbezüglichen Kommentare, davon überzeugen zu können, dass er einem Irrtum unterliegt, wenn er annimmt, dass er zu Gunsten von möglichen 70.000 Opfern 164 Menschenleben beenden darf.

Aber selbst wenn der Pilot die Rechtsprechung des BVerfG incl. der sich daraus für das StGB ergebenden Konsequenzen gekannt hätte, so bliebe immer noch ein Rechtsinstrument, welches einen Freispruch bzw. eine nur sehr milde Bewährungsstrafe erlauben würde. Der sog. übergesetzliche entschuldigende Notstand.

Beispiel: Angeklagte Euthanasie-Ärzte im Dritten Reich hatten 10 Geisteskranke in die Gaskammer geschickt, um 90 Geisteskranke zu retten [nach BGH NJW 1953, 513]

Hier drängt sich ja die Frage auf: Was wäre denn die Alternative gewesen? Dass alle Geisteskranken sterben? Oder, dass die Ärzte sich erschießen lassen, damit andere Ärzte alle Geisteskranken ins Gas schicken? So wie die Ärzte gehandelt haben, war es die einzige Möglichkeit, um noch größeres Leid zu verhindern. Und dafür kann man sie in einer ausweglosen Situation nun einmal aus Gründen der Moral nicht bestrafen.

Damit wäre der Drops dann juristisch auch schon gelutscht. Der Pilot war freizusprechen.

Und nun nochmals zu der angeblichen Abstimmung gegen das Grundgesetz:

Das BVerfG hatte über die Rechtmäßigkeit einer Rechtsnorm und deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu urteilen. Auch das StGB fußt auf dem Grundgesetz. Und so wurde z.B. der Homosexuellenparagraph wegen Unvereinbarkeit mit der – dem Wandel der Zeit und den gesellschaftlichen Vorstellungen unterliegenden – Auslegung des Grundgesetzes abgeschafft. Das Publikum hat also nicht gegen das Grundgesetz gestimmt, sondern es hat für eine korrekte Anwendung des auf diesem fußenden Strafrechts gestimmt.

Da sehen Sie mal wieder, wie man mit einem einfachen Satz hochkomplexe rechtliche und gesetzliche Tatsachen völlig falsch darstellen kann. Aber reißerisch kommt halt immer besser als sachlich. Und ist leider in unseren heutigen Zeiten ein zunehmendes gesellschaftliches Problem. Anstatt sich z.B. sachlich mit der Kompatibilität von Arabern und Afrikanern zu unseren westlichen Gesellschaften zu beschäftigen, wird entweder linke oder rechte Polemik verbreitet. Glücklicherweise lässt das Strafrecht so etwas aber nicht zu (außer am Amtsgericht Wuppertal). Hier wird nach festen Regeln gearbeitet, die in langen Jahren von vielen klugen Juristen entwickelt worden sind. Bedauerlicherweise werden aber heute die guten Juristen ja nicht mehr Richter, sondern gehen in die freie Wirtschaft, weil sich da in angenehmerer Atmosphäre deutlich mehr Geld verdienen lässt.

Wenn Sie Zweifel an meiner rechtlichen Würdigung des Vorgangs haben, dann können Sie sich ja den Artikel von Herrn Richter am BGH Thomas Fischer zu Gemüte führen (http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-10/ard-fernsehen-terror-ferdinand-von-schirach-fischer-im-recht).

Damit entpuppt sich der Donnerhall der “Aufklärung über das Recht” als lächerliche Stinkbombe. Der Autor von Schirach versteht vom Strafrecht nichts. Er mag in seinen holzschnittartigen Kriminalgeschichten all die Mörder und Räuber umherschleichen lassen, wie er will, aber er sollte die Finger von ernsthaften Strafrechtsfragen lassen. Wer Rechtswidrigkeit und Schuld so verheerend durcheinanderbringt, sollte wahrlich keine Aufklärungsstücke über unzureichende Strafrechtsdogmatik verfassen.

 

Dies ist die eine Seite. Die harte Kritik mag den Autor ärgern; sie ist gleichwohl nicht persönlich gemeint; er mag sie sich zu Herzen nehmen oder es bleiben lassen.

 

Schlimmer, erstaunlich und bedrückend aber ist es, dass die schweren, ja existenziellen Fehler des Stücks von seinen Verbreitern und Laudatoren vom Theater bis hin zur großmächtigen ARD nicht erkannt, sondern beanstandungslos durchgewunken werden. Das hätte sich leicht vermeiden lassen, wenn man statt auf das Wunder einer Quoten-Sensation einmal einen ernsthaften und kritischen Blick auf die Sache selbst geworfen hätte.

Und für so einen Scheiß sollen wir auch noch Rundfunkgebühren zahlen?!

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